Freundschaften nach dem Schlaganfall sind wie Freundschaften vor dem Schlaganfall

Freunde sind eine gute Sache. Wie man im Leben schnell feststellt, gibt es nur wenige richtige Freunde und wie bei Liebesbeziehungen, stresst ein traumatisches Erlebnis wie ein Schlaganfall auch die Beziehung zu Freunden. Auch bei Freunden agiert etwa ein Schlaganfall nur als Katalysator und Verstärker von bestehenden Problemen.

Freunde kommen und gehen

Eine Bekannte aus dem Sportverein erzählte mir kurz nach meiner Rückkehr, dass sie eine ähnliche Situation durchgemacht hat. Sie hatte als Folge jahrelang mit starken Schmerzen zu kämpfen. Sie sagte über Freunde: Du wirst wahrscheinlich sehen, dass am Anfang alle deine Situation noch spannend und schrecklich finden, wenn die erste Aufregung vorbei ist wird sich das Feld der Freunde und Bekannten schnell lichten. Das war ihre Erfahrung und genau so war es auch tatsächlich. Meine ersten Notizen zu diesem Kapitel waren: “Ja und Nein.” Und “bester Freund”. Ich will damit sagen: Ja, Freunde sind toll und helfen auch über viele Situationen hinweg, aber nein, sie sind nicht alles entscheidend. Auch bei mir bewahrheitete sich die Theorie meiner Bekannten oben. Ein bisschen mehr möchte ich aber doch noch zu Freunden sagen. Zuerst einmal: Es gibt sie die tollen Freunde! Da waren in meinem Fall zum Beispiel die vielen Helfer aus meinem Baseballverein, die während ich zur Reha war unser neues Haus renoviert haben um es zu meiner Entlassung fertig zu kriegen. Das war toll und eine echte Leistung. So habe ich mir immer Vereinsleben vorgestellt. Ich habe 10 Jahre zum größten Teil ehrenamtlich den Nachwuchs trainiert. Nun halfen viele Eltern dieser Kinder und einige Freunde, die gar keine Kinder im Verein hatten tatkräftig bei unserer Renovierung. Ohne diese tollen Menschen hätte ich kein Haus gehabt, in das ich nach meiner Reha hätte zurückkommen können. Dann waren da die Freunde, die mich während meiner Reha besucht haben und mich stundenlang im Rollstuhl über den Deich oder am Hafen entlang geschoben haben. Das war super. Und doch kam die Zeit, als mein Schlaganfall scheinbar an Sensationswert verloren hatte, in der viele, fast alle, meiner Freunde den Kontakt abbrachen oder zumindest nicht weiter verfolgten. Sicher, bei einigen spielten vielleicht auch noch andere Gründe hinein, denn Schlaganfall hin oder her, das Leben passiert ja trotzdem weiter. Dann gab es aber auch die Menschen, die gerne taten, als ob sie Freunde oder zumindest wohlgesonnene Bekannte waren, die nicht nur aktiv den Kontakt abbrachen, sondern die unmögliche Situation für mich und meine Familie noch schwieriger machten. Wie so oft im Leben war auch bei den Freunden das gesamte Buffet vertreten.

Entäuschung neu definiert

Während meines Aufenthalts in der Tagesklinik redete ein Therapeut, toller Mann übrigens, mit uns über Enttäuschung. Ich muss wohl von meinen Freunden erzählt haben.Er nahm das Wort Enttäuschung und erklärte, #stroketruth: dass es sich im Grunde um ein zusammengesetztes Wort handelt: ent wie ende oder “nicht mehr” und “Täuschung”- also das Ende einer Täuschung. Darüber habe ich lange reflektiert und war schlußendlich nicht mehr so traurig so viele “Freunde” verloren zu haben, sondern verstand, dass es sogar gut war, dass sich der Kreis der Freunde ausdünnte. Mein zweiter Stichpunkt für dieses Kapitel war “bester Freund”. Dazu habe ich auch eine Analogie. Im Training haben wir unseren Kindern immer wieder gesagt, dass der beste Trainer, den sie haben, sie selbst sind. Sie können selbst entscheiden, ob sie sich anstrengen wollen, zuhören, in sich reinhören wollen. Klar hilft auch mal ein schlauer Kommentar von außen, aber in Wahrheit ist man immer selbst der beste Trainer. In sich findet man Motivation, Zielsetzung, Disziplin und den Spaß am Leben. Genauso ist es bei mir und dir auch. Sicher, die Rahmenbedingungen sind ein bisschen anders und es steht ein bisschen mehr auf dem Spiel, aber am Ende gibt es mehr Parallelen als Unterschiede. Du bist dein bester Freund und auch dein bester Coach. Mein Physiotherapeut, Timo Jarama hat neulich eine gewagte These aufgestellt: “Ich mache nie Fehler. Ich muss davon ausgehen, dass mein Gehirn in einer Situation immer die richtige Entscheidung für mich trifft.“ (Danke Timo für Deine Hilfe und Dein offenes Ohr).
An dieser Stelle lege ich eine kleine Pause ein und feiere die ersten 50 Seiten dieses Buches. Zur Erinnerung: Feier die kleinen Erfolge und bewahre dir diese Momente! Das mache ich jetzt. Gut. Kleinen Erfolg gefeiert. Weiter gehts: Das Thema war gerade Fehler und Entscheidungen. Wie oben geschrieben, scheint diese These gewagt, wenn nicht ein bisschen größenwahnsinnig, aber je länger du darüber nachdenkst, wirst du zum gleichen Schluss kommen. Warum sollte das Gehirn mit den gegebenen Informationen einer Situation gegen uns entscheiden? Betrachtet man ein Entscheidung rückwirkend, kann das natürlich ganz anders sein, weil es eventuell neue Informationen gibt. Grundsätzlich habe ich mir vorgenommen vormals getroffene Entscheidungen niemals mit dem Wissen der Gegenwart zu bewerten oder mir zumindest bewusst zu sein, welche Informationen zum Zeitpunkt der Entscheidung vorhanden waren und welche erst später verfügbar wurden, die eine Bewertung as heutiger Sicht beeinflussen. Somit, lieber Timo, ich stimme dir zu!