Schlaganfall und mentale Gesundheit bedeutet für mich hier in erster Linie: Schlaganfall und Depression. Schlaganfall und die mentale Gesundheit sind eng miteinander verknüpft. Eine der häufigsten Begleiterscheinungen nach einem Schlaganfall ist Depression.
Hilfe bei Depressionen nach Schlaganfällen
Über Hilfe habe ich eben schon viel gesprochen. Bei der mentalen Gesundheit, kann Hilfe natürlich schnell lebenswichtig werden. Rekapitulieren wir kurz: Innerhalb von Minuten wurde dein und mein Leben komplett durchgewirbelt. Wenn das nicht zu emotionalen Schwankungen führt, was dann? Hier ist meine Geschichte in Bezug auf mentale Gesundheit nach meinem Schlaganfall: Direkt nach der Nacht war einfach alles scheiße, aber nicht total dramatisch. Ich bin mit der Situation einfach umgegangen. Ich hatte ja schon ein wenig Erfahrung mit schier aussichtslosen medizinischen Diagnosen. Sicher war der Schlaganfall ein neues Level, aber dennoch kam ich irgendwie mit der Situation zurecht. Eigentlich habe ich mir auch nie die Frage gestellt, warum es mich schon wieder erwischt hat, denn die Frage hat keine Antwort und führt zu keinem Ergebnis. #stroketruth: Es ist nunmal passiert. Deal with it. Ich habe gleich im Krankenhaus psychologische Hilfe in Anspruch genommen und auch “stimmungsaufhellende” Medikamente bekommen. Mein späterer Neurologe hat es treffend formuliert:”Sertralin ist ein Krisenmedikament, und sie sind in einer Krise. Wenn die Krise vorbei ist, brauchen Sie es nicht mehr nehmen.” Ich muss dazu sagen, ich hasse Tabletten, aber ich liebe das Leben mehr! 2,5 Jahre später nehme ich das Medikament noch immer. Meine Krise ist noch nicht vorbei, und wie meine heutige Psychotherapeutin so schön sagte:” Die Seele weiß, wann sie bereit ist.” Danke, Frau Poehls! Deshalb warte ich, bis mir meine Seele bestätigt, dass meine Krise vorbei ist. Bis dahin nehme ich die Tabletten weiter. Wie ging es nach der Anfangszeit weiter mit meiner emotionalen Gesundheit? # exkurs zu Offenheit über mentale Krankheiten. In meiner Kindheit und Jugend gab es das Thema mentale Gesundheit nicht. Punkt. Inzwischen kommt Bewegung in die gesellschaftliche Diskussion. Zum Glück! Und es ist an jedem Betroffenen offen darüber zu sprechen, um das Thema in die Normalität zu holen.
Psychotherapie ist für mentale Gesundheit wie Zahnärzte für Zahnschmerzen
#stroketruth: Wenn du Zahnschmerzen hast, gehst du zu einer Zahnärztin oder einem Zahnarzt. Folglich ist es ja nur logisch, dass du mit emotionalen Schmerzen zu einem Psychotherapeuten gehst. Es ist das normalste der Welt!! Während meiner stationären Reha (3 Monate unter Coronabedingungen in Damp an der Ostsee) fiel ich das erste mal in ein tiefes Loch. Die ganze Umgebung, Klinik, Personal waren äußerst negativ, und ich realisierte so langsam, wie scheiße mein Leben ab sofort sein könnte. Ich holte mir wieder psychologische Hilfe. Die Gespräche waren leider wirkungslos, weil das ganze Rehakonzept dieser Klinik einfach schlecht war. Letztlich haben wir meine Medikation ein wenig erhöht, und ich fand wieder Boden unter meinen Füßen. Nach den längsten 3 Monaten meines Lebens konnte ich endlich “nach Hause”.
Vereine als soziale Verankerung
Wir hatten gerade unser Haus in der Vorstadt verkauft und ein neues Haus in Hamburg gekauft, das noch grundlegend renoviert werden musste. Ein riesengroßes Dankeschön an alle, die uns in dieser Zeit tatkräftig unterstützt haben, sodass ich direkt nach meinem Klinikaufenthalt in das neue Zuhause fahren konnte. An dieser Stelle Danke an alle Hamburg Stealers Frank und Claudia, Basti Düsing, Detlef Scholz und Petra Bäumer von den Hamburg Stealers (Baseball Verein in Hamburg). Ihr habt das möglich gemacht und mir einen ersten Schritt zurück in die Normalität ermöglicht! Zu dem Zeitpunkt bin ich mit Gehstock auf meinen eigenen 2 Füßen aus der Klinik gegangen. Das war ein Riesenerfolg. Aber mir war nicht klar, dass die emotionale Herausforderung jetzt erst so richtig losgehen würde. Hier kommt der immer funktionierende Papa, Ehemann, Baseballcoach nach Hause, zurück ins Leben, aber er war nicht mehr der funktionierende all das oben genannte. Er war schwerbehindert und konnte nicht mal seine eigenen Socken anziehen, nicht arbeiten, und somit nicht finanziell zur Familie beitragen. Er stand im Weg und war frustriert mit sich selbst. Ich konnte auch keine Übungen mehr im Training auf dem Baseballplatz vormachen. Ich machte Fehler, die ich nie zuvor gemacht hatte. Irgendwie ging es aber weiter. Bis sich mein Schlaganfall zum ersten Mal jährte. Kurz zuvor bekam ich starke Schulterschmerzen, gegen die ich ein Schmerzmedikament erhielt . 4 Tage nach Beginn der Einnahme und 3 Tage vor dem Jubiläum tat sich ein Abgrund in meinen Gedanken auf, wie ich es nicht für möglich gehalten hatte. Ich konnte nur noch sitzen und darüber nachdenken, ob ich nicht besser hätte am Boden liegen bleiben sollen in jener Nacht. Zuhause war es unglaublich schwer wieder ein Miteinander zu finden. Ich überlegte ernsthaft, ob es nicht für alle besser ist, wenn ich in ein Pflegeheim gehe und dort mein Leben zu Ende vegetiere . Meine Frau war schnell daran mir zu sagen, dass ich in eine psychologische/psychiatrische Klinik muss. Heute weiss ich, dass sie überfordert war und Angst hatte. Recht hatte sie natürlich auch. Leider war die Art und Weise des Hilfsangebotes für mich nicht annehmbar.
Meine Depression beginnt am ersten Jahrestag meines Schlaganfalls
Trotzdem sah ich die Notwendigkeit von professioneller Hilfe. Meine Schwester half mir einen Termin in einer ambulanten Sprechstunde zu bekommen, den ich natürlich wahrnahm. Dort wurde schnell klar, dass ich, obwohl nicht akut suizidgefährdet, schwer depressiv war. Die Praxisleitung rief mich wenige Tage später an und bot mir einen Platz in der Tagesklinik an. Ich wollte nicht schon wieder stationär weggehen! Es war für mich die beste Lösung. 3 Monate nach meinem “ Jubiläum” begann ich meinen Tagesklinikaufenthalt, der gut 4 Monate dauerte. Diese 4 Monate waren gleichzeitig die aufwühlendsten und auch erleuchtesten Monate meines Lebens. Ich danke bis heute täglich den Therapeuten, vor allem aber allen Mitstreitern, die alle aus den unterschiedlichsten Gründen dort waren. Was wir gemeinsam hatten, war die Überforderung durch das Leben, die uns in das ein oder andere Trauma gestürzt hatte. Ich möchte kurz auf einige Highlights dieser Zeit eingehen, die mich geprägt haben, und durch die ich aus meinem sehr tiefen Loch heraus fand und nun zumindest emotional meist wieder “normal” am Leben teilnehmen kann. Ich gehe soweit zu sagen, dass ich emotional deutlich besser und stärker aufgestellt bin, als vor meiner Krankheit. Das erste große Thema in der Klinik waren Gefühle und deren Akzeptanz. Hört sich einfach an, kann aber ein echtes Arschloch sein. Das Konzept von „Gefühle halten“, egal ob gute oder schlechte Gefühle, war ein entscheidender Schritt zu gesünderer emotionaler Stärke. #stroketruth: Oft hört man Menschen sagen, dass Psychotherapie doch nur Gesabbel ist und dass man das auch alleine und mit guten Freunden schaffen kann. Das war auch meine Sicht auf Psychotherapie. Es ist Quatsch, und während die Therapie sicher keine offene Herzchirurgie war, war es absolut notwendig für mich, professionell angeleitet ein besseres Verständnis für meine Gefühle und den Umgang damit zu bekommen. Zurück zu “Gefühle halten und Akzeptanz von Gefühlen” In diesen Stunden habe ich verstanden, dass ich nicht immer sofort auf meine Gefühle wie Frustration, Angst und Wut reagieren muss. Ich war ein sehr impulsiver Mensch und habe durch das Gefühle-halten-Konzept gelernt, meine aufkommenden Gefühle zu erkennen, und erst einmal nur wahrzunehmen. Solange, bis ich weiß, was ich damit machen will. Das hilft Kurzschlusshandlungen und Negativspiralen zu unterbrechen, aber auch positive Gefühle in die Seele übergehen zu lassen. Das Halten von positiven Gefühlen war für mich unglaublich schwer, und sie verflogen unglaublich schnell, während die negativen Gefühle lange Zeit vorhielten. Dieses Konzept hat für mich Wunder gewirkt. Ein weiteres Konzept habe ich bereits in einem früheren Kapitel erwähnt.
Akzeptanz hilft mentale Gesundheit zu unterstützen
Es geht um das Konzept des Berges und der Bank auf halbem Weg – ich schrieb zuvor darüber. Auch hier geht es um Akzeptanz. Da ich nicht bereit bin, meine Einschränkungen einfach als gegeben zu akzeptieren, und ich aber gleichzeitig weiß, dass das ständige Streben nach dem Gipfel auch ungesund ist, habe ich das Konzept der Akzeptanz für mich abgewandelt, um die für mich richtige Balance zwischen Gipfelstreben und Stehenbleiben zu finden. Ich akzeptiere, dass ich eingeschränkt, behindert bin, und ich weiss nicht, ob ich meine Einschränkungen je vollständig los werde. #strokehack: Ich habe 2 Stellschrauben gefunden, mit denen ich die richtige Balance zwischen Ehrgeiz und Resignation finden kann. 1. Ich reduziere meine Ansprüche soweit, dass ich immer noch mit dem Ergebnis zufrieden bin, aber auch eine realistische Chance habe, diese Ziele zu erreichen. An diesen neuen Zielen arbeite ich hartnäckig und unermüdlich. Das trifft nicht nur auf meine Mobilität zu, sondern auf alle meine Aufgaben, denen ich mich stelle. 2. Ich akzeptiere, dass das evtl. länger dauert als zuvor. Ich versuche den Weg als Ziel zu sehen, und erlaube mir dadurch mehr Spielraum und Möglichkeiten zur Anpassung meines Vorgehens. Letztlich musst du natürlich deinen Weg finden, dies sind meine Erfahrungen, die für mich funktioniert haben.
Selbstwert nach einem Schlaganfall wieder finden
Eine der größten Herausforderungen für mich war das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden, bzw. nutzlos zu sein, weil ich so vieles nicht mehr machen konnte. #stroketruth: Wie ich schon vorher sagte, bietet die Zeit nach einem Schlaganfall genauso viele Möglichkeiten wie Einschränkungen. Ich begann mich auf die Möglichkeiten zu fokussieren, nicht auf die die Einschränkungen. Mit dieser Idee habe ich einige Aktivitäten begonnen, für die ich vor der Krankheit keine Zeit oder Geduld hatte: Ich habe angefangen Spanisch zu lernen. Zum Glück leben wir in einer Zeit, in der Digitalisierung viele neue Möglichkeiten bietet. Mit der App Duolingo lerne ich seit fast 2 Jahren eine neue Sprache. Es macht Spaß, ist sinnvoll und ich mache etwas, dass mir in Zukunft von Nutzen sein kann. Außerdem bestimme ich das Tempo. In den 2 Jahren habe ich immer wieder Pausen gemacht, weil ich es einfach nicht in mir hatte. Ich bin aber immer wieder darauf zurück gekommen und freue mich jedesmal über eine abgeschlossene Lerneinheit. Ganz im Sinne der Akzeptanz erlaube ich mir Pausen, und strebe nicht mehr nach Perfektion. Ich freue mich, wenn ich etwas gelernt habe, und wenn es ein paar Tage mal nicht dazu kommt, verzweifle ich nicht, sondern warte, bis mein Kopf es wieder möchte. Natürlich ist mein Ziel immer noch, irgendwann spanisch sprechen zu können. Daran halte ich hartnäckig fest, aber ich erlaube mir, den Zeitrahmen für meine jeweils aktuelle Situation anzupassen.
Routinen und die Erlaubnis nicht perfekt zu sein
Ich habe auch angefangen ein Tagebuch zu führen. Das wollte ich schon immer machen, habe es aber nicht kontinuierlich geschafft. Ich lege dir ans Herz, es auch zu probieren. Ich wusste, ich brauche eine Art Tagebuch, für das ich nicht länger als ein paar Minuten täglich brauche und eines, das mich ein wenig anleitet.
Das 6 Minuten Tagebuch
#strokehack: Ich habe mich für das 6 Minuten Tagebuch entschieden. Es bietet mir die o.g. Möglichkeiten und gepaart mit meiner Strategie, mich nicht abzustrafen, wenn ich es nicht jeden Tag schaffe, führe ich regelmäßig unregelmäßig seit über einem Jahr ein Tagebuch. Ich mag dieses Tagebuchformat gern, weil es mich ein wenig anleitet zu reflektieren und die positiven Momente des Lebens hervorhebt. Als weiteren Baustein zu meiner stabilen emotionalen Stärke, habe ich die Meditation und dazugehörige buddhistische Schriften und Lehren entdeckt. Vielleicht denkst du: ist nicht wirklich neu, ist ja logisch oder du denkst: was für ein Schrott- Das funktioniert sowieso nicht. Wenn du dich schon mit Meditation und Achtsamkeit auseinander gesetzt hast, wirst du mir zustimmen, dass es natürlich nicht die Lösung für alle Probleme der Welt ist, aber wenn die Welt sich mehr mit Meditation und den Lehren, von zum Beispiel Thich Nhat Hanh, auseinander setzen würde, hätten wir auf der Welt deutlich weniger Probleme. Für jeden Einzelnen bieten beide Aktivitäten tolle Möglichkeiten der Reflexion und Weiterentwicklung des eigenes Geistes. Auch hier gilt: Fang an zu suchen, und du findest deinen Weg. Aber nicht, dass du denkst, ein bisschen von dem und ein bisschen von dem anderen, und schon wird man Zen Master und erleuchtet wie der Dalai Lama. Nein, es ist ein täglicher Kampf mit dem Geist und dem Schweinehund, und ich gewinne nicht jeden Tag. Neulich gerade habe ich wieder verloren und fühlte mich den ganzen Tag mies. Aber ich wusste, wenn ich schlafe und einen neuen Tag beginne, habe ich eine neue Möglichkeit, es heute ein kleines bisschen besser zu machen als gestern. Und das wiederum klappt meistens. Wenn ich das schaffe, kannst du es auch. Easy.
Selbsthilfegruppen als Stütze für stabile Emotionen
Wenn es alleine schwierig ist, such dir ein paar Gleichgesinnte und gründe eine Selbsthilfegruppe. Ich hatte im letzten Kapitel angekündigt, meine Erfahrungen zu dem Thema zu teilen. Hier sind sie:#exkurs Selbsthilfegruppen: Während meines Aufenthalts in der Tagesklinik, habe ich viele tolle Menschen kennengelernt. Irgendwann waren die ersten von ihnen fertig mit ihrem Aufenthalt oder bereiteten sich auf die „Freilassung“ vor. Schnell wurde uns klar, dass neben professioneller und ambulanter Therapie, das Gespräch zwischen uns “Kloppies”, mindestens genauso wichtig ist wie die Therapeutengespräche. Also beschlossen 4 von uns eine Gruppe zu gründen. Zunächst ganz informell mit der Möglichkeit, die Gruppe später der Allgemeinheit zugänglich zu machen. Es entstand der “Freundeskreis Stark durch Krisen“. Die Gruppe war nicht speziell für Schlaganfallpatienten. Jeder von uns hatte seine ganz eigene Krise zu bewältigen. Es war eine kleine und homogene Gruppe. Wir haben einen Ablauf entwickelt, der uns durch die Sitzungen leitete, so dass jeder am Ende etwas positives mitnehmen konnte. Es kam nie zu der kompletten Öffnung der Gruppe für Außenstehende, denn schon eine erste Erweiterung brachte Unruhe und das Gleichgewicht der Gruppe auseinander. Wie das mit solchen Gruppen ist, waren wir natürlich alle an unterschiedlichen Punkten unserer Genesung, und so schieden die ersten schon wieder aus, bevor neue Mitglieder sich anschlossen. In meiner Erfahrung ist homogen für eine Selbsthilfegruppe gut, aber mehr auf die Herangehensweise bezogen, als auf charakterlichen Eigenschaften. Unsere Gruppe existierte noch eine Weile, aber in sehr reduzierter Form. Das macht aber nichts. Solange die Beteiligten etwas Positives mitnahmen, erfüllte sie ihren Zweck. Hier noch einmal Danke an Merle, Frauke und Max. Auch wenn wir uns inzwischen nicht mehr treffen, denke ich oft an euch, und ihr habt mir durch eine echt miese Zeit geholfen. Dafür bin ich euch immer dankbar.