Wenn Eltern einen Schlaganfall haben
Ein Schlaganfall diskriminiert nicht. Selbst kleinste Kinder haben Schlaganfälle. Darum soll es hier aber nicht gehen, sondern darum, was ein Schlaganfall eines Elternteils bei den eigenen Kinder macht und wie sich die Beziehung zu Kindern ändert. Vielleicht sollte eine erfahrene Psychotherapeutin lieber dieses Kapitel schreiben. Da ich keine Therapeutin zur Hand habe, stütze ich mich wieder auf meine eigenen Erfahrungen. Wie du schon weißt, war mein 13 jähriger Sohn mit mir alleine in der Nacht meines Schlaganfalls. Er musste die ganze Erfahrung miterleben. Nachmittags stand ich noch als Athletiktrainer einer Hamburger Baseballakademie auf dem Feld, dann die schreckliche Nacht und morgens konnte ich nicht mehr laufen und meine Hand nicht mehr bewegen. Nachdem wir gute Nacht gesagt haben und nach einer Nacht der Verzweiflung sah er mich das nächste Mal im Krankenhausbett, halbseitig gelähmt. Was macht das mit einem Kind, das gerade damit beschäftigt ist, sich selbst zu finden? Die Wahrheit ist, ich weiss es nicht genau. Jungs in dem Alter erzählen nicht wirklich viel, schon gar nicht über ihre Gefühle. Jedenfalls war das bei uns so. Natürlich fand er es scheiße, und er war traurig, aber das war nur die Oberfläche. Wie schon erwähnt war ich immer aktiv, habe mir alles zugetraut und es auch gemacht. Nun von jetzt auf gleich war das alles weg. Weil ich aber immer noch Vater war, habe ich viel überlegt, wie ich ihm gegenüber mit der Situation umgehen soll. Ich entschied mich für Ehrlichkeit und Offenheit. Ich zeigte mein Angst und meine Verzweiflung, aber auch meinen Willen alles mögliche zu tun, um wieder gesünder zu werden.
Positives in einer Tragödie wie einem Schlaganfall finden
Gerade habe ich ein Zitat von “Oliver” aus dem Film “Goldfische” (Filmempfehlung!) gehört #stroketruth: “Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft hat schon verloren.”Mir ging es gar nicht so sehr darum, ob ich gewinne oder verliere, sondern darum, was mein Sohn positives aus meiner Krankheit und jener Nacht mit erheblichem Traumapotenzial und meiner Genesung ziehen kann. Wenn man der Situation etwas Positives abringen möchte, dann vielleicht, dass du alles erreichen kannst, was du wirklich willst und dass es sich lohnt, dafür zu kämpfen. Wenn diese Message bei ihm ankommt, bin ich froh , den Schlaganfall gehabt zu haben. Denn das glaube ich von ganzem Herzen. Wenn du etwas wirklich willst, kannst du es schaffen. #stroketruth: “Don’t listen to the ney sayers. If you want it, go get it. Hätte ich auf meine Ärzte und viele meiner Therapeuten gehört, würde ich heute wahrscheinlich in einem Pflegeheim versauern und wäre nicht schon dreimal wieder snowboarden gewesen. Mehr zu Sport und Snowboarden in dem entsprechenden Kapitel. Entgegen aller Prognosen meiner Therapeuten laufe ich wieder selbständig und verbessere meine motorischen Fähigkeiten fortlaufend. Im Nanometerbereich, aber das ist egal, so lange es Verbesserung ist, nehme ich es.
Psychotherapie und Traumaverarbeitung der Kinder
So wie ich mir emotionale Hilfe geholt habe, habe ich mir das auch für meinen Sohn gewünscht, aber er wollte es nicht. Nun, meine Therapeutin sagte, wie schon erwähnt, so treffend: “Die Seele weiß, wann sie bereit ist.” Seine Seele war nicht bereit. Also haben wir ihm immer wieder den Raum geschaffen, in den er gehen kann, wenn er bereit ist. Das ist nun in diesem Fall alles, was wir machen konnten. Ich weiß also wirklich nicht, was so ein Ereignis mit Kindern macht. Sicher ist da auch jedes Kind verschieden. Ich tue einfach weiterhin alles was ich kann, um meinem Sohn zu zeigen, dass ich für ihn da bin und ihn bedingungslos liebe. Zu Ostern, 1,5 Jahre nach dem Schlaganfall, habe ich ihm etwas Schokolade geschenkt und einen kurzen Brief geschrieben, in dem ich ihm gesagt habe, dass ich ihn trotz Einschränkung über alles liebe und immer für ihn da bin. Es war eine schwierige Zeit für ihn. Gerade hatte er Mädchen und Parties entdeckt. Deshalb war es mir wichtig, dass er weiß, dass ich trotz Schlaganfalls immer verfügbar bin. Er hat mir einen kurzen Text zurückgeschrieben, in dem er schrieb, dass er glaubt, dass ich schon wieder gesund werde, denn ich bin ja stark. Ich hatte die Befürchtung, dass meine Krankheit und meine Behinderung sein Weltbild völlig erschüttern würden, aber da habe ich mich wohl zu wichtig genommen. Zuversicht hat er also nicht verloren und man wird sehen, wie sich die Pubertät weiter entwickelt. Es ist sicher keine einfache Zeit für ihn oder mich, aber ich glaube, es kann ihn positiv beeinflussen. Er kann sich natürlich nicht vorstellen was genau bei mir passiert, und welche emotionalen Folgen es für mich hat. Ich wusste mit 43 auch nicht, was ein Schlaganfall ist und welche Auswirkungen er hat. Deshalb fokussiere ich mich stets auf positives Denken und versuche, ihm die guten Dinge und Erfolge zu zeigen. Fazit: Ein Schlaganfall der Eltern ist eine komplizierte Angelegenheit für alle, auch die Kinder, aber es birgt auch Möglichkeiten, hoffe ich jedenfalls. Liebe deine Kinder und zeig ihnen, was möglich ist, wenn man etwas will. Das ist meine völlig unprofessionelle Meinung in Bezug auf Schlaganfall und Kinder. An vielen Tagen wünsche ich mir, dass er mehr Zeit mit mir verbringt. Ich habe aber entschieden, ihm diese Last nicht länger aufzuerlegen. Wie gesagt, er ist in der Pubertät und oft bin ich mir nicht sicher, ob sein Verhalten mit seiner Selbstfindungsphase oder meiner Krankheit zu tun hat. Sicher ist es eine Kombination, denn das eine bedingt hier ja auch das andere. Auch wenn es mir manchmal schwerfällt, versuche ich ihm den Raum und die Zeit zu geben, sich selbst zu finden und die Erlebnisse in seinem Tempo zu verarbeiten. Es ist eine unglaublich schwere Aufgabe, meinem Kind so zu vertrauen und ihn machen zu lassen, aber es ist der einzige Weg, und nur weil es schwer für mich ist, muss ich ihm trotzdem diesen Raum geben. Um das zu schaffen, strenge ich mich jeden Tag an. Fakt ist: Auch wenn dein Kind es dir nicht immer zeigen kann, es liebt dich und wenn die Seele bereit ist, wirst du es auch wieder mehr spüren.
Die Angst der Kinder verstehen
Am liebsten hätte ich an dieser Stelle ja wie gesagt einen Text einer ausgebildeten Psychologin. Den habe ich aber nicht. Ich habe aber die Erlaubnis meines 15-jährigen Sohnes hier ein Gedicht zu benutzen, dass er um die Zeit herum geschrieben hat, als er mir schrieb, dass er sich gar nicht so viel Sorgen um mich macht. Ich denke, das Gedicht zeigt ganz gut, wie schwer die Folgen eines Schlaganfalls zu greifen sind. Nicht nur für Kinder, sondern auch für uns selbst. Denn ich würde beide seiner Aussagen unabhängig voneinander mit unterschreiben. Hier ist es:
Meine Angst ist groß
Meine Angst ist groß,
Groß wie das Universum.
Es sind Mischungen aus ganz eigenartigen Gefühlen.
Gefühle, die stets unerklärbar sind.
Meine Angst ist zu groß um sie zu erklären,
Was nicht gut ist,
Denn sie wird sich nur vermehren,
Während sie sich durch meinen Verstand frisst.
Dennoch würde es mich glücklich machen, so sehr.
Meine eigenen Fehler zu verzeihen wird schwer,
Doch ich hoffe es wird nicht mehr.
Geschrieben von Finn Schulze, 2021
Danke, mein Sohn, für deinen Mut, über deine Angst zu schreiben und dass ich es hier aufnehmen darf. Du bist ein stiller Mensch, aber überraschst mich immer wieder mit deiner Tiefe! Ich liebe Dich.